Vergangene Woche lief mein vorletzter Beitrag für @oe1. Ich will dort nicht länger arbeiten.
Nicht, weil mir die Arbeit dort nicht (mehr) gefallen würde oder wegen der Kolleg_innen, sondern allein wegen der äußerst prekären Bedingungen und der allgemeinen Perspektivlosigkeit: 🧵
Nicht, weil mir die Arbeit dort nicht (mehr) gefallen würde oder wegen der Kolleg_innen, sondern allein wegen der äußerst prekären Bedingungen und der allgemeinen Perspektivlosigkeit: 🧵
In mehr als 4 Jahren beim Sender war ich kein einziges Mal länger als 32 Stunden am Stück beschäftigt* (das entspricht in der Rechnung des ORF der Produktion einer 25-Min.-Sendung wie dem @oe1-Kulinarium). Überall sonst in Österreich wäre so ein Arbeitsverhältnis nicht möglich.
Doch §32, Abs. 5 des ORF-Gesetzes erlaubt das explizit:
“Befristete Arbeitsverhältnisse können ohne zahlenmäßige Begrenzung und auch unmittelbar hintereinander abgeschlossen werden, ohne dass hierdurch ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit entsteht.”
ris.bka.gv.at/GeltendeFassun…
“Befristete Arbeitsverhältnisse können ohne zahlenmäßige Begrenzung und auch unmittelbar hintereinander abgeschlossen werden, ohne dass hierdurch ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit entsteht.”
ris.bka.gv.at/GeltendeFassun…
(*Der Vollständigkeit halber: im August 2018 war ich 1 ganzen Monat lang als Praktikantin beschäftigt, dafür habe ich 500€ brutto bekommen. Die vier Beiträge und noch mehr Onlinetexte für help, die ich in diesem Zeitraum gestaltet/geschrieben habe, wären “mehr wert” gewesen).
Bei so vielen Honoraren (“Arbeitsverträgen”) kann auch mal etwas schiefgehen, schon ein falsches Datum kann gravierende Konsequenzen haben: Ich bin 2x ohne funktionierende e-card dagestanden, musste auf das Wohlwollen von Ärzt_innen hoffen, mich ohne Versicherung zu behandeln.
Über die Abmeldung von der Sozialversicherung wurde ich nie rechtzeitig (also *vor* Ende der Versicherungslaufzeit) informiert, sodass ich nichts dagegen unternehmen hätte können – die entsprechenden Sozialabgaben wurden mir am Monatsende trotzdem vom Gehalt abgezogen.
Und den Aufwand, das alles wieder zu richten, die zuständigen Stellen auf den Fehler aufmerksam zu machen, hatte ich natürlich auch, was mich in den letzten Jahren unfreiwillig zur Expertin in Sozialversicherungsfragen und quasi zum Arbeitsrechts-Ultra gemacht hat.
Die Logik des Pro-Sendung-Bezahlt-Werdens widerspricht dem redaktionellen Alltag: wiederkehrende Sitzungen und Klausuren, bei denen Anwesenheit i.d.R. erwartet wird oder Recherchen über Wochen/Monate hinweg werden in Honoraren, die über wenige Tage laufen, nicht abgebildet.
Über-/Mehrstunden, Feiertagsarbeit und so weiter werden sowieso pauschal mitabgegolten. Dutzende, vielleicht hunderte meiner Mehrstunden existieren nur in meinen persönlichen Aufzeichnungen. Geld gibts (außer in wenigen Ausnahmen) nur für eine fertige, ausgestrahlte Sendung.
Ein konstantes Einkommen ist unter diesen Umständen kaum zu erzielen, Planung über mehr als ein paar Monate hinweg unmöglich. Unfall, längere Krankheit oder Schwangerschaft können zu einer existenziellen Bedrohung werden, oder zumindest zu einer anstrengenden Bürokratie-Schlacht.
“Echte” Angestellte, deren Tätigkeiten sich oft kaum von denen der “Freien” (ich schreibe das absichtlich in Anführungszeichen, denn es handelt sich ja bei Radiomacher_innen wie mir weder um freie Dienstnehmer_innen noch um Selbstständige) unterscheiden,…
… bekommen jedes Monat ihr Gehalt und sind durchgehend versichert, so wie man es von einem unselbstständigen Arbeitsverhältnis eben erwarten können sollte.
Doch diese redaktionellen Stellen sind bei @oe1 mehr als rar und werden bei Pensionierung selten nachbesetzt, schon unter den Stellen der “Freien” gibt es vertragliche hierarchische Abstufungen mit verschiedenen Levels an Prekarität.
Das Frustrierendste ist die Tatsache, dass es für die vielen “Freien” bei @oe1 keine Aussicht auf Besserung gibt. Diese Art zu arbeiten – ohne zeitliche/finanzielle Planungssicherheit, immer der nächsten Deadline hinterherhetzend – scheint innerhalb des ORF völlig normalisiert…
…selbst viele Betroffene haben sich damit abgefunden. Das kann ich verstehen, denn wenn man im Dauerstress nur immer gerade so über die Runden kommt (finanziell und kräftemäßig), bleibt wenig Energie übrig, sich gegen das System aufzulehnen, das für diese Bedingungen sorgt.
“Karriere” zu machen, nach Jahren in der Redaktion ein besseres Gehalt zu bekommen (oder zumindest die Möglichkeit, das zu erhandeln), ist für “Freie” sowieso nicht vorgesehen.
Als “Freie” Radio für @oe1 zu machen, fühlt sich für mich an wie glorifizierte Tagelöhnerei. So prekär beschäftigt zu sein, ist kurzfristig zermürbend und auf Dauer unerträglich.
Deshalb habe ich in den letzten Jahren bei jeder sich mir bietenden Gelegenheit versucht, bessere Arbeitsbedingungen zu bekommen – es darf doch nicht zu viel verlangt sein, als Arbeitnehmer_in durchgehend sozialversichert zu sein und ein planbares Einkommen zu haben!
tl; dr: Ich bin es leid, für @oe1 zu arbeiten, ein Unternehmen, das es in Kauf nimmt, dass die eigenen Beschäftigten immer wieder mal nicht krankenversichert sind (wir haben immer noch Pandemie!).
Ich bin es leid, für @oe1 zu arbeiten, ein Unternehmen, dass sich nach außen so jung und divers gibt und gleichzeitig durch gesetzlich abgesicherte Vertragsstrukturen dafür sorgt, dass man es sich leisten können muss, dort zu arbeiten.
Ich bin es leid, für @oe1 zu arbeiten, ein Unternehmen, das junge, engagierte Menschen in prekäre Arbeitsverhältnisse drängt und ihnen jahrelang die Karotte einer “echten” Anstellung vor die Nase hält, die für die meisten aber doch nie Realität wird.
Deshalb habe ich beschlossen, meine Energie und Motivation nicht weiter für @oe1 zu verschwenden (es braucht wirklich viel davon, um mit/unter diesen Bedingungen klarzukommen) und das Unternehmen mit Ende 2022 zu verlassen.
Nach so viel Rant noch was Positives zum Schluss: Ich habe viel gelernt bei Ö1: Inhaltlich bei Interviews zu allen möglichen Themen und zum Radiohandwerk von meinen lieben Kolleg_innen. Danke, dass ihr dafür gesorgt habt, dass ich trotzdem eine gute Zeit hatte 🙂
(Ein Grund, das alles hier öffentlich zu posten, ist meine Hoffnung, dass sich die Situation meiner nun Ex-Kolleg_innen durch ein bisschen Aufmerksamkeit verbessern könnte – unter so prekären Bedingungen sollte niemand arbeiten!!)
Und an dieser Stelle auch wichtig: Kulinarik-/Audio-Journalismus ist weiterhin genau mein Ding, ~hmu~ für potentielle zukünftige Zusammenarbeit, ich freue mich über neue Projekte!
Diesen Thread gibts im Blog als durchgängigen Text: zuckerbaeckerei.com/2023/01/oe1-vo…